Aus Drint & aus Dront

Einst gab es, vor langer, langer Zeit und weit entfernt, das Land Drint. Heute gibt es Drint nicht mehr und kaum jemand erinnert sich daran, außer die ganz, ganz alten Leute, deren Großväter manchmal davon sprachen, was sie von ihren Großvätern über Drint gehört hatten. Allerdings wussten auch die über Drint nichts anderes, als was sie von ihren Vorfahren überliefert bekommen hatten und es gibt, soweit bekannt, nicht eine einzige Aufzeichnung, aus der hervorginge, dass jemals auch nur eine einzige Menschenseele persönlich den Fuß auf drintischen Boden gesetzt hätte.

Wie gesagt, das Land Drint gibt es schon lange nicht mehr und bei dem Wenigen, das über Drint heute noch bekannt ist, kann kein Mensch sagen, was die Wahrheit ist und was nicht. Sicher scheint nur eines zu sein, nämlich dass eines der Nachbarländer von Drint den Namen Dront trug. Wir wissen nicht, wie sich das Volk nannte, dass in Drint wohnte und ebensowenig wissen wir den Namen, den sich das Nachbarvolk gegeben hatte, also jener Leute, die in Dront zuhause waren.

Es heißt allerdings, dass man in Drint zu den Nachbarn Dronten sagte, während in Dront von den Nachbarn als den Drinten geredet wurde. Die Drinten, falls sie wirklich so geheißen haben, waren ein komisches Völkchen. Das glaubte man zumindest in Dront, also bei den Dronten, so wie man das auch heutzutage noch gerne von seinen Nachbarn glaubt.

In Wirklichkeit waren die Drinten wahrscheinlich um nichts mehr oder weniger komisch als die Dronten, aber hätte man das damals einem Dronten ganz genau so gesagt, hätte er wahrscheinlich nur spöttisch gelacht. Im besten Fall hätte er wahrscheinlich genau erklärt, was an den Drinten so komisch war. Die Drinten hatten nämlich die Eigenschaft, Tag und Nacht eine Haube auf dem Kopf zu tragen und galten deshalb bei den Dronten als etwas eigen, weil sich in Dront niemand vorstellen konnte, Tag und Nacht etwas anderes auf dem Kopf zu tragen, als eine Mütze.

Nun, eines Tages werden alle Menschen wissen, dass alle Menschen eigen sind, denn das Wort Eigenschaft heißt ja nicht umsonst wie es heißt und der Mensch der keine Eigenschaften hat, der muss erst erfunden werden, auch wenn ein Mann schon ein Mal ein dickes, dickes Buch geschrieben hat, in dem angeblich das Gegenteil behauptet wird und das kaum jemand bis zum Ende gelesen haben soll.

In Dront galten die Drinten also als komisch, so wird erzählt, und das lag nicht nur an ihren unvermeidlichen Hauben, sondern auch an der für die Dronten nicht minder komischen Eigenschaft, dass die Drinten immer dann, wenn sie jemand begegneten, ihre Haube vom Kopf zogen – um sie danach wieder aufzusetzen und sorgfältig zurechtzurücken. Dabei war es vollkommen egal, ob ihr gegenüber nun ein Drint war, oder ein Dront, oder einer aus anderer Herren Länder. Die Haube wurde bei jeder Begegnung gezogen, ohne Ansehen der Person, wie wir heute sagen würden.

Die Dronten fanden diesen Brauch auch deshalb so komisch, weil sie bei jeder Art von Begegnung mit anderen immer bloß zwei Finger an ihre Mütze legten, und zwar sehr vorsichtig, damit ihre Mütze ja nicht verrutsche. Gut möglich, dass diese Eigenschaft wiederum für die Drinten komisch gewirkt haben mag und dass man sich in Drint fragte, was denn an einer verrutschten Mütze so schlimm sein könnte, die man doch jederzeit wieder gerade rücken konnte.

Schließlich musste man dies als Einwohner von Drint mit seiner Haube täglich gut und gern hundert Mal tun, nämlich jedes Mal, nachdem diese gezogen worden war, und folglich war auch gut und gern hundert Mal am Tag auf den perfekten Sitz der Haube zu achten. Eine unordentlich sitzende Haube war ja, so heißt es, bei den Drinten vollkommen undenkbar, und genau so gut hätte man gleich barhäuptig durchs Leben gehen können.

Ob die Drinten wirklich so über die Dronten dachten, wissen wir allerdings nicht, denn darüber ist nichts überliefert. Unwahrscheinlich ist es zwar nicht, aber eigentlich vollkommen gleichgültig, da es hier ausschließlich darum geht, was die Dronten über die Drinten dachten. Die hielten die Drinten also für ein wenig seltsam und darum begenügten sich viele Dronten nicht, ihre Nachbarn als Drinten zu bezeichnen.

So war es also kein Wunder, dass man sich in Dront für die seltsam anmutenden Nachbarn einen Spitznamen ausdachte, der natürlich mit den seltsam anmutenden Eigenschaften der Nachbarn zusammenhängen musste. Und so wurden in Dront die Leute in Drint oft nicht bloß als Drinten tituliert, sondern als „Haubenzieherdrinten“ und immer wenn dieses Wort fiel, gab es viel Gelächter, begleitet von Gebärden, die den fremden Brauch des Haubenziehens andeuteten.

Dass die Drinten diese Bezeichnung so gar nicht verstehen konnten, wird niemand wundern, denn aus drintischer Sicht gab es ja gar keine Drinten, die nicht ununterbrochen die Haube zogen, schon allein weil dies ein Gebot der Höflichkeit war, und folglich war das Haubenziehen in der Bezeichnung Drinten ja bereits inkludiert. Es wäre ja auch niemand auf die Idee gekommen, zur Nase Zweilochnase zu sagen, oder zur Hand Fünffingerhand. Nun, das mag in Drint so gewesen sein, aber das wiederum interessierte in Dront ganz genau niemand.

Dort gab es weitaus Wichtigeres, wie zum Beispiel das Schüttelreimen und ob man es glauben will oder nicht, gerade wegen der Haubenzieherdrinten gerieten die beiden berühmtesten Schüttelreimer von ganz Dront in einen Streit, der fast eine Staatskrise ausgelöst hätte. Heute wird das kaum jemand verstehen können, aber damals, in Dront, war das Verfassen von Schüttelreimen fast so eine hohe Kunst wie heute die Vermeidung von Steuern oder die jahrzehntelange Erhaltung jugendlich frischer Haut und es gab viele Schulen und Universitäten, die sich keiner anderen Aufgabe widmeten, als dem Lehren und Erforschen des Schüttelreimes, auch wenn sie untereinander selten einig waren.

Genau so war es auch bei den beiden berühmten Schüttelreimern, obwohl diese einander durchaus freundschaftlich verbunden waren. Aber bei einer derart ernsten und wichtigen Angelegenheit wie dem Schüttelreim, konnte natürlich weder der eine, noch der andere auf Freundschaft Rücksicht nehmen, denn dazu ist Freundschaft ja nun wirklich nicht da.

Eines Tages trug jedenfalls der eine dem anderen den folgenden kurzen und aussagekräftigen Schüttelreim vor: „Die Haubenzieherdrinten – kennen keine Traubenhyazinthen“.

Nun wartete er stolz auf die Reaktion. Die ließ nicht lange auf sich warten.

„Traubenhyazinthen? Kenn auch ich nicht. Und ich bin, wie du sicher wissen wirst, kein Drint. Also, erklärst du mir nun in verständlichen Worten, was Traubenhyazinthen sein sollen, oder du wirst den Reim ganz schnell zurückziehen müssen.“

Da wurde der Schöpfer des umstrittenen Schüttelreims sehr verlegen. Es stimmte ja wirklich. Er wusste gar nicht, was Traubenhyazinthen sein sollen und irgendwie war ihm das Wort halt im Übereifer des Reimens in seinen Reim gerutscht. Aber sollte er deshalb nun wirklich einen Schüttelreim zurückziehen? Das war noch niemals vorgekommen. Ja, wäre er dazu emotional überhaupt in der Lage gewesen, wie wäre er jemals ein derart berühmter Schüttelreimer geworden? Sicher nicht in Dront, wo man sich, abgesehen von unmittelbar lebenswichtigen Aufgaben, kaum mit etwas anderem beschäftigte, als mit dem Schüttelreimen.

Also antwortete er rasch, und ohne lange nachzudenken: „Traubenhyazinthen? Das sind kleine blaue Blumen und das weiß jedes kleine Kind.“

Na, die Antwort seines Freundes und Kritikers, die kann man sich vorstellen. „Ha, ha, ha! Blumen sollen das sein? So ein Blödsinn! Das Wort hast du dir doch einfach nur ausgedacht, damit du einen Schüttelreim auf die Haubenzieherdrinten machen kannst. Dabei weiß jedes kleine Kind, dass dies ganz und gar unmöglich ist. Noch niemals ist es einer Menschenseele gelungen, die Haubenzieherdrinten zu schütteln und daran wird sich auch niemals etwas ändern.“

Es ist übrigens eine Tatsache, dass man Traubenhyazinthen in Dront nicht kannte, denn die wuchsen dort ebensowenig, wie in Drint und so musste der geniale Schüttelreim tatsächlich wieder zurück gezogen werden. Und noch viel schlimmer: Er durfte auch nicht in die Anthologie „Die zehntausend besten Schüttelreime aller Zeiten“ aufgenommen werden – was der Grund dafür ist, dass ihn heute so gut wie niemand kennt. Und das, obwohl bei uns jedes kleine Kind weiß, was Traubenhyazinthen sind…

Nachbemerkung: Jeder, der die Anthologie „Die zehntausend besten Schüttelreime aller Zeiten“ kennt, der kennt auch den darin an prominenter Stelle aufgenommenen Schüttelreim: „De Haubenzieherdrinten ham in Traubenzieher hinten“. Den soll der Freund des unglücklichen Schüttelreimers flugs erfunden haben, kaum dass der Reim mit den Traubenhyazinthen zurückgezogen war. Und falls sich nun, das soll ja schon oft vorgekommen sein, jemand der Sinn dieses Schüttelreims nicht erschließt – es hat damit die folgende Bewandtnis: In Drint wie in Dront, wurde das Ernten von Trauben als „Traubenziehen“ bezeichnet und das dabei verwendete Werkzeug als Traubenzieher, den man in Drint nun mal hinten am Gürtel trug, in Dront hingegen vorne.

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